Um fünf Uhr schallt der Ruf des Muezzins vom zehn Meter entfernten Minarett in Dogubayazit. Ich schäle mich aus dem Bett, hole meine Kamera und erwarte den Sonnenaufgang mit Blick auf den Berg Ararat. Aber Sonne und Berg verstecken sich hinter Dunst und Wolken. Stattdessen taucht aus dem Zimmer neben mir ein anderer Hotelgast auf, dem Akzent nach US-Amerikaner.
Er hat seine Videokamera im Anschlag und beginnt auch gleich zu filmen: „This is the floor and this is my room. Now I open the door, now I´m in my room, …“ Ich beobachte seine Aufnahme. Als er Badezimmer, Bett und Nachtisch digitalisiert hat, kommt er zurück in den Flur: „Hi, I was here 18 years ago.“ Er legt los und erzählt mir, dass er damals bei der Suche nach den Überresten der Arche Noah geholfen hat. Ich warte gespannt auf den Bericht aus erster Hand, da fährt er fort: Gott wird sehr bald auf die Erde zurückkehren und uns alle befreien. Wir müssen uns vorbereiten, damit wir seine Erlösung empfangen können. Ob ich vorbereitet bin?
Eine andere Zimmertür öffnet sich und jemand fragt mürrisch: „Wer macht hier so viel Lärm?“ Ich verabschiede mich schnell und verschwinde in mein Zimmer. Der Ararat wird sich heute nicht mehr zeigen.
Wir nähern uns der iranischen Grenze. Der OzBus überholt die Kolonne wartender LKWs auf der Gegenfahrbahn, bis wir von dem Stacheldrahtzaun stehen. Jetzt ist die Zeit gekommen: Ich muss meinen Mantel anziehen und natürlich das Kopftuch. Haare, Knöchel, Handgelenke – alles muss verdeckt sein, wenn wir die Islamische Republik Iran betreten wollen. Wir machen ein letzte Foto mit unserem lettischen Busfahrer, hieven unsere Rücksäcke auf den Rücken (Achtung: Knöchel nicht zeigen!) und machen uns zu Fuß auf den Weg. Unser Norweger müsste jetzt in Dogubayazit ankommen.
Wir müssen zuerst die Türkei verlassen, was sich einfacher anhört, als es ist. Obwohl wir in der Warteschlange eng zusammenstehen, drängeln sich Männer zwischen uns Frauen. Die ersten stehen schon am zweiten Tor, die letzten sind weit abgeschlagen. Als ich schließlich meinen Pass durch das kleine Fenster strecke, bleibt er erst einmal liegen. Ein anderer Beamter kommt und bittet mich zur Seite. Meinen Pass nimmt er mit. Ich warte. Und warte. Mittlerweile sind fast alle unserer Gruppe an mir vorbei, aber um mich kümmert sich niemand. Plötzlich werde ich wieder ans Fenster gerufen. Ich bekomme meinen Pass und werde zu den anderen geschickt.
Zweiter Schritt: Rein in den Iran. Nach weiteren 15 Minuten Herumstehen, öffnen sich türkisches und iranisches Tor und wir dürfen in das Zollgebäude direkt auf der anderen Seite. Unsere Unterhaltung für die nächste Stunde ist ein iranisches Fernsehprogramm, dass Soldaten, Verwundete und Blut zeigt. Ich lese, lege das Buch zur Seite, schau mir die Toiletten an, setze mich auf drei verschiedene Plastiksitze und beobachte die Ankommenden. Sie drängeln zum nächsten Schalter, die Frauen verschleiert wie wir, und verschwinden durch den Metalldetektor.
“German, Irish, Italian – come here.“ Wir vier bekommen unsere Pässe und quetschen uns durch die Schleuse. Ich sehe mich um. Will uns jemand aufhalten? In der Einreisehalle geht es zu wie auf einem Bahnhof. An Kiosken mit Chipstüten vorbei eilen wir bis zur Eingangstür. Wir sind draußen - und drinnen im Iran.
Alle anderen aus der Gruppe müssen noch Fingerabdrücke nehmen lassen. Eine Stunde später stoßen sie zu uns. Eine weitere Stunde vergeht, bis der Norweger unter Jubel in den Bus steigt. Er wird seinen Pass nie wieder vergessen.
Fünf Stunden haben wir für 200 Meter gebraucht.
Foto: Isabelle Hiestand
OzBus Reporter
Isabelle Hiestand unterwegs mit dem OzBus von London nach Sydney. Sie berichtet täglich aus dem OzBus.
Annette
Habe gerade die Berichte von deiner Einkaufstour in Istanbul bis über die iranische Grenze gelesen. Spannend!!! Liebe Grüße, Annette
Werner
Hi Isabelle, dein Grenzübertritt in den Iran ist interessant und unterhaltsam geschrieben, . Ich bin schon gespannt, wie es im Iran weiter geht