Der Ganges bei Varanasi
Die Dämmerung kriecht durch die Gassen von Varanasi. Pilger und Bettler räkeln sich, während uns ein Fremdenführer durch die morgendliche Menge vorwärtstreibt. Plötzlich ergießen sich Straße und Menschen auf eine breite Treppe, und ich halte inne. Zu meinen Füßen liegt der Ganges, breit wie ein See und das gegenüberliegende Ufer im Dunst verborgen. „Weiter, weiter!“ scheucht mich der Führer, und ich gleite über die schlammigen Stufen zu einem der Boote hinunter.
Braun leckt der Ganges am Kahn, als ich mich auf die Holzbank fallen lasse. Eine Inderin drückt mir ein Blumengesteck mit Kerze in die Hand und kassiert meine Nachbarin ab. Während sie über die Bordkante ins nächste Touristenboot steigt, legen wir ab. Drei Männer führen das Boot: der Steuermann am Heck und zwei „Abstoßer“, die dafür sorgen, dass wir die anderen Boote am Ufer nicht rammen, zumindest nicht frontal.
Vom Ganges angetrieben, gleitet das Boot an den Ghats entlang. Auf den Treppen erwarten die Pilger wie wir den Sonnenaufgang, einige beten, manche schlafen. Drei Männer, nur mit Lendenschurz bekleidet, unterhalten sich lebhaft, während eine Großfamilie gerade gemeinsam in den Ganges steigt. Die Saris der Frauen wölben sich und malen bunte Strähnen in die braune Flut. Wir sind nur wenige Meter entfernt und ich weiß nicht, ob ich hinschauen soll. Als die Frauen uns im Boot erblicken, müssen sie lachen.
Das Boot kehrt um und die „Abstoßer“ werden zu Ruderern. Die Sonne schält sich aus der Dunstglocke und wandelt den Ganges in ein Meer aus Rosa und Flieder. Von Palästen und Tempeln überragt zieht sich die Ufertreppe scheinbar endlos weiter. In der Ferne steigt Rauch auf. Als wir näherkommen, erkenne ich riesige Holzstapel und auf der Treppe strahlt Orange. Unser Boot hält auf den Landesteg zu.
Hart stößt das Boot an die Steinstufen. Wir sind am Verbrennungsghat. Sollen wir wirklich hier aussteigen? Unser Führer ist schon die Treppe hinaufgesprungen und winkt hektisch. Die Treppe erscheint plötzlich sehr schmal und ich klettere zögernd aus dem Boot. Alle drängen sich auf der rechten Seite der Treppe nach oben, so weit wie möglich entfernt von dem leblosen Körper, der in oranges Tuch gehüllt auf seine Verbrennung wartet.
Foto: Isabelle Hiestand
OzBus Reporter
Isabelle Hiestand unterwegs mit dem OzBus von London nach Sydney. Sie berichtet täglich aus dem OzBus.
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