Sydney or the Bush

Sydney ist sicher eine der schönsten Städte der Welt. Und das wissen die Bewohner, die Sydneysider, auch. So hat sich eigentlich schon seit dem Beginn der Besiedlung eine gewisse Überheblichkeit, ein Gefühl der Überlegenheit bei diesen Sydneysidern entwickelt. „Darwin? Ist denn das überhaupt eine richtige Stadt? Die haben doch mal gerade 100 Tausend Einwohner?“ tat Maria, unsere Vermieterin aus Cronulla die Hauptstadt des Northern Territory ab, als wir davon erzählten. Und die abfällige Denkweise der Sydneysider blieb den anderen Australiern natürlich nicht verborgen. Eine „verächtliche“ Einstellung Sydneys gegenüber dem „Rest von Australien“, die in dem gängigen Slogan „Sydney or the bush“ gipfelt. Das ist die Definition „Alles oder nichts!“ aus Sydney- Sicht. Folglich lässt dieser „Rest“ als Antwort keine Gelegenheit aus, die Sydneysider zu verspotten. “Mama Staatler“ lästern die anderen über die Bewohner von NSW. Die anderen, das sind die „Kohlbauern“ aus Victoria, die „Sandbuddler“ aus WA, die „Bananenknicker“ aus Queensland, die „Sturmvogelesser“ aus Tasmanien und nicht zu vergessen die „Krähenfresser" aus Südaustralien.

Ich bin mir sicher, die Federation 1901 wäre gescheitert, hätte nicht Parkes den Kompromiss einer „neuen“ Stadt als Hauptstadt angesprochen.

Natürlich bleiben die heldenhaften Maßnahmen der ersten Pioniere, am Anfang alle von Sydney startend, nicht ungewürdigt. Aber solche Verdienste erwarben sich auch Kolonialisten in anderen Gegenden von Australien.

Man hat sie zu Volkshelden, zu Pionieren stilisiert. Und es ist heute gleich, ob diese Vorfahren Sträflinge waren oder Soldaten oder freie Siedler. Die Perther sind stolz darauf, dass bei ihnen keine ehemaligen Sträflinge, sondern freie Männer die Besiedlung vornahmen. Aber das interessiert außer den Perther sonst niemand.

So werden die Nachfahren der First Fleet (Ersten Flotte) als so eine Art australischer Uradel betrachtet. Der Urahn von Richard Morey, unserem Wirt in Cronulla, war ein solcher Pionier. In England 1788 wegen Pferdediebstahl zum Tode durch Erhängen verurteilt, erreichten seine Angehörigen, dass der junge Mann mit der damals geplanten Flotte zur Sträflingsdeportation nach Australien kam. Das war 1788. Nach Verbüßung seiner Strafe blieb Morey in Australien und eine Tafel in Mainly am Shelly Beach nahe Sydney erinnert noch an den ehemaligen Besitzer.

Sicherlich sind die Ehrungen und die Würdigungen für die „Pioniere“, wie die Australier die ersten Siedler voller Anerkennung nennen, berechtigt. Deren Existenz wäre im Höchstmaße langfristig bedroht gewesen, hätte es nicht eine Gruppe von Männern gegeben, die das australische Binnenland erkundeten, deren Forschungsergebnisse stark das Nationalbewusstsein prägten.

Australien profitierte (oder nicht?) vom Wegfall der amerikanischen Kolonien. Das drakonische britische Strafsystem sah auch für kleinste Vergehen, wie Wilderei oder Diebstahl, Gefängnisstrafen zwischen 7 und 14 Jahren vor. Nur wohin mit den Bestraften, wenn die Zuchthäuser voll sind? Außerdem wollte man die vielen politischen Häftlinge aus Irland und Schottland gern loswerden. Welch einmalige Gelegenheit, die alle nach Australien abzuschieben. Mit den 11 Schiffen der First Fleet kamen 1500 Menschen, darunter 193 Frauen und 582 Männer als Verurteilte, in das neue Land. Auch 247 Passagiere (56 Ehepaare, davon 24 mit Kindern) wagten den Schritt in die neue Welt. Überwiegend Iren, aber auch Schotten, Nordamerikaner, Juden und Schwarzafrikaner. Nur 47 Passagiere starben während der Überfahrt.

Der erste Gouverneur, der ehemalige Captain der First Fleet, Arthur Phillip hatte nach der Ankunft große Probleme mit der Ernährung der Strafgefangenen und seiner Mannschaften. Es waren überwiegend Städter, die hierher geschickt wurden. Von Landwirtschaft hatten sie keine Ahnung. Der heimische Stamm der EORA nannte diese Menschen „gefallene Sterne“ (Turuga). Man war auf Versorgung durch England angewiesen und erwartete sehnsuchtsvoll die Ankunft der zweiten Flotte 1790. Bald kamen die notwendigen Vorräte und gleichzeitig auch weitere 1000 Strafgefangene ohne wesentliche Kenntnisse in der Landwirtschaft. Phillip sah für die Ernährung der Menschen nur einen Ausweg. Unter den zivilen Umsiedlern gab es sowohl 1788 als auch 1790 einige echte Landwirte, die eine Siedlung gründen wollten. Das beabsichtigte auch eine ganze Reihe von Militärangehörigen bäuerlicher Herkunft, die nach dem Dienst in Australien blieben. Nur fehlten dringend Arbeitskräfte. Phillip blieb nichts weiter übrig, als den Siedlern Strafgefangene als Arbeitskräfte zuzuweisen. Und so eröffnete er einen Kreislauf. Viele Sträflinge erwarben nach Abbüßung ihrer Strafe, um selbstständige Siedler zu werden, Land und betrieben Landwirtschaft oder Viehzucht. „Emanzipisten“ nannte man diese Männer, denen die neue Kolonie viel verdankt. Ab 1793 hielt der Zustrom von Landwirten dann aus aller Welt unvermindert an. Trotzdem herrschte die Kaste der Offiziere nach eigenem Dünken. „Rum Corps“ hießen die, sich am Rumhandel bereichernden, korrupten Offiziere im Volksmund. Die wagten sogar 1809 den Gouverneur William Bligh, einen Überlebenden der Bounty, abzusetzen.

Lachlan Macquarie schaffte Ruhe und Ordnung in der Kolonie. Dies konnte er nur tun, weil er sich 1809 ihm ergebene Elitesoldaten aus England mitbrachte. Seine Gouverneurtätigkeit bis 1821 war die wichtigste Periode der jungen Kolonie. Den Gedanken von Phillip aufgreifend verfolgte auch Macquarie eine konsequente Begnadigung von besserungswilligen Gefangenen mit landwirtschaftlicher Erfahrung.

Es ist schade, dass sich der Gouverneur und der Farmer Hauptmann Mc Arthur aus tiefstem Herzen hassten. John McArthur führte 1793, noch unter der Förderung von Phillip, das Merinoschaf in Australien ein. Doch blieb sein Ideal der freiwillige Siedler, nicht der Sträfling. Und bereits nach 10 Jahren lieferte Australien die erste Schiffsladung Wolle nach England. Nur 200 Jahre später weideten 175 Millionen Schafe in Australien. Heute bezeichnen einige Historiker beide Männer als eigentliche Väter von Australien.
Der Sträflingszustrom hielt ungebrochen bis 1840 in NSW und bis 1855 auf den Norfolk Inseln an. Insgesamt 164.000 Menschen wurden auf diese Weise nach Australien zwangsdeportiert. Dann ging es Schlag auf Schlag. Auf Tasmanien entstand 1803 Hobart. Durch die Überquerung der Blue Mountains (Blaxland, Wentworth und Lawson) war ab 1813 der Weg zur Besiedlung des Westens frei. 1824 wurden Brisbane und 1829 Perth gegründet. Als nächste große Städte entstanden 1835 Melbourne und 1836 Adelaide.

Von den vielen Orten, die ihre Existenz der Gründung von Sträflingslagern verdanken, seien Sydney, Brisbane und Albany stellvertretend erwähnt.

Und natürlich hat sich Sydney immer eine Art Sonderstellung bewahrt. Obwohl für lange Zeit Melbourne das Zentrum der finanziellen Macht in Australien war.

Die meisten Touristen starten und beenden den Australienaufenthalt in Sydney. Und ich habe schon über die Ostküstengegend südlich von Sydney erzählt. Auch der Weg zu den Blue Mountains und das dortige Inland sind bereits beschrieben. Und natürlich auch der Ostküstenstreifen bis nach Brisbane.

Im diesem Büchlein will ich über weitere Gegenden von NSW erzählen, die viele der eingebildeten Sydneysieder noch nie besucht haben, aber trotzdem darüber lästern. So bleibt mir nur der so treffende Spruch von Tamara McKinley „Nichts liebte das australische Publikum ja mehr als einen Blick auf das eigene Erbe, die Erinnerung an das wahre Herz dieses endlosen und wunderschönen Landes. Die meisten waren niemals weiter gekommen als bis zu den Blue Mountains.“ Tamara McKinley 1999

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OzBus Reporter

Isabelle Hiestand unterwegs mit dem OzBus von London nach Sydney. Sie berichtet täglich aus dem OzBus.

Begleitet die OzBus Reporterin auf ihrer Tour

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